Bewegungsmangel im Alter und bei pflegebedürftigen Menschen erhöht deutlich das Risiko geistiger und körperlicher Erkrankungen. Mit zunehmendem Ausmaß der Bewegungseinschränkungen kommt es zum Muskelabbau und daraus resultierender körperlicher Kraftlosigkeit. In der Folge wachsen die Belastungen für den Pflegenden und den Pflegebedürftigen. Um die gefährliche Abwärtsspirale zu unterbrechen, haben der US-amerikanische Verhaltensforscher Dr. Frank Hatch und seine Ehefrau Dr. Linda Sue Maietta in den frühen 1970er Jahren ein Handlungskonzept unter dem Begriff „Kinästhetik“ entwickelt.
Dabei werden durch spezielle Maßnahmen die Bewegungen der einzelnen Körperteile pflegebedürftiger Menschen auf schonende Weise unterstützt.
Was ist Kinästhetik?
Der Begriff Kinästhetik leitet sich von den griechischen Wörtern „kineō“ (bewegen) und „aisthēsis“ (Empfindung, Wahrnehmung) ab. In anderen Worten ist es die „Lehre von der Bewegungsempfindung“.
Es ist ein Sammelname für die Fähigkeit, bestimmte Bewegungen von Körperteilen in unterschiedlichen Situationen mit leichtem Zug und Druck zu steuern.
Um systematisch dagegen anzugehen, macht sich das Konzept der Kinästhetik Erkenntnisse aus der Verhaltenskybernetik, Psychologie, Bewegungslehre und dem Tanz zunutze. Es bietet einfache Handgriffe und Techniken für die Aktivierung eigenständiger Bewegungsabläufe bei beschränkt mobilen Menschen und Hilfe zur Selbsthilfe an.
Ebenso werden die Pflegepersonen körperlich spürbar entlastet, indem zum Beispiel gesundheitsschädigendes Heben, Tragen oder Umlagern vermieden wird. So ist ihre körperliche Anstrengung geringer.
Der Fokus der Bewegungsempfindung liegt auf dem zielgerichteten Einsatz von Körperteilen und dem Aufbau von Bewegungskompetenz bei alltäglichen Aktivitäten. Dabei handelt es sich im eigentlichen Sinne nicht um eine Technik, sondern um die bewegungsförderliche Interaktion zwischen Pflegeperson und Patient. Das ist insbesondere dann hilfreich, wenn die Durchführung einer erforderlichen Bewegung nicht oder nur unter großen Anstrengungen möglich ist.
Nach einer entsprechenden Schulung durch Kinästhetik Kurse ist die Anwendung der kinästhetischen Prinzipien in der häuslichen Pflege durch Angehörige geeignet und ratsam.
Wofür wird Kinästhetik gebraucht?
Für bewegungseingeschränkte Menschen und ihre Pflegekräfte stellt die kinästhetische Mobilisation im Alltag viele Erleichterungen bereit. So sind etwa adaptive Bewältigungsstrategien ein erfolgreiches Verhaltensmuster für den Umgang mit akuten Rückenschmerzen sowie gegen die drohende Chronifizierung der Schmerzen.
Das Aufstehen mobilitätseingeschränkter Menschen von einer Sitzgelegenheit kann zum Beispiel durch ruckartiges Ziehen Schmerzen oder Verletzungen hervorrufen. Dagegen kann durch Beugung des Oberkörpers und des Kopfes zum Boden das Gewicht verlagert und das Becken leichter vom Stuhl angehoben werden.
Das Drehen und Lagern in kleinen Schritten gemäß dem kinästhetischen Konzept wirkt für den Patienten entlastend. Die Pflegeperson deutet dabei durch sanfte Berührungen der Person an, in welche Richtung Bewegungen vorgesehen sind und die Person entsprechend ihrer Möglichkeiten durch eigene Kraft mithelfen kann.
Was sind die Ziele der Kinästhetik?
Die kinästhetisch geprägte Pflege setzt sich zum Ziel, die Bewegungsmöglichkeiten des eingeschränkten Patienten zu unterstützen und auszuweiten. Daneben will sie der Pflegeperson zu gesundheitsschonenden, kräftesparenden Einsätzen bei der Pflegetätigkeit verhelfen. Der Pflegebedürftige wird angeleitet, während der Pflege seine Leistungsfähigkeit bewusst wahrzunehmen und bei Aktionen und Bewegungen mitzuwirken. So sollen die Verbesserung der Mobilität und der Bewegungsfreiheit die Selbstständigkeit des Patienten erhöhen.
Lassen die geistigen Fähigkeiten des Patienten langsam nach, schafft das kinästhetische Konzept eine solide Basis für die Kommunikation und erleichtert den Aufbau von gegenseitigem Vertrauen. Besonders vorteilhaft erweist sich das für Demenzkranke. Nicht zuletzt hat die kinästhetische Mobilisation auch eine prophylaktische Wirkung zum Ziel. Durch beständige, vom Patienten selbst ausgelöste Mobilisation können:
- Druckgeschwüre,
- Thrombosen und
- Lungenentzündungen häufig vermieden werden.
Was sind die Konzepte der Kinästhetik in der Pflege?
Die sechs Grundpfeiler zur Erhaltung oder zum Wiedererlernen von selbstständig durchgeführten Bewegungsabläufen betreffen die Bereiche:
- Umgebungsgestaltung,
- Interaktion,
- Funktionale Anatomie,
- Menschliche Funktion sowie
- Menschliche Bewegung und
- Anstrengung.
Durch die Anpassung der Umgebung im Umfeld der Pflege lassen sich häufige Belastungen des Stütz- und Haltungsapparats verringern oder verteilen. Dazu gehört zum Beispiel der zu dichte Standort der Pflegeperson beim Aufstehen des Patienten vom Stuhl. Stellt sich der Helfer etwas seitlich versetzt vor den Aufstehenden und bewegt sich mit ihm mit, muss dieser die Raumenge nicht mit zusätzlicher Anstrengung kompensieren.
Ein weiteres, pflegerelevantes Thema beschreibt die Interaktion zwischen Pflegeperson und Patient als Signalgeber für Angst, Überforderung und Stress. Der kinästhetisch sensibel handelnde Pfleger erkennt den Widerstand durch das „Signal“ der eigenen Muskelspannung und kann folglich den Bewegungsablauf korrigieren.
Funktionale Anatomie
Im Bereich der Funktionalen Anatomie schlägt das kinästhetische Modell die Unterteilung des menschlichen Körpers in sieben Massen (Kopf, Brustkorb, Becken und Extremitäten) und sechs Zwischenräume (Hals, Taille und je zwei Achselhöhlen und Leisten) vor. Darin stellen die Zwischenräume die Beweglichkeit der Massen sicher und übertragen sie von einer zur nächsten Masse. Fasst man in die Zwischenräume, wird das Zusammenspiel von Massen und Zwischenräumen gestört.
Die Menschliche Funktion greift bei den Alltagsaktivitäten in der Pflege wie etwa Unterstützung bei der Einnahme von Speisen und Getränken oder bei der Wundversorgung. Hier ist es wichtig, eine geeignete Position zu wählen, in der man beweglich bleibt und sich Belastung und Entlastung in kleinen Zeitabständen abwechseln.
Beim Punkt Menschliche Bewegung geht es darum, Bewegungsfähigkeiten wie etwa asymmetrische spiralförmige Bewegungsmuster zu entwickeln. Diese haben für den Patienten Vorteil, dass er sich mit nicht viel Muskelkraft zum Beispiel im Bett spiralig kopfwärts bewegen kann.
Mit den Bewegungsformen Ziehen und Drücken befasst sich der kinästhetische Aspekt der Anstrengung. Die Extremitäten sind dabei von zentraler Bedeutung, weil der Patient durch die Kombination von Ziehen und Drücken seine Anstrengung dosieren und der schweren Rumpfmasse eine Richtung vorgeben kann.
Warum sollte eine pflegebedürftige Person regelmäßig Kinästhetik machen?
Durch Erlernen und regelmäßiges Anwenden von kinästhetischen Konzepten vergrößert der Patient seine Eigenständigkeit und entlastet die Pflegeperson spürbar, weil unnötige Anstrengungen vermieden werden.
Bewegungseingeschränkten Menschen gelingt es so, schonender und gesundheitsfördernd Bewegungen auszuführen. Durch eigenständige Bewegungen werden die Muskeln und das Bewegungsgedächtnis gefördert. Die Mobilisation und Ortsveränderungen werden dadurch einfacher.
Wenden Sie sich an das Team von dem ambulanten Pflegedienst DAKOS, um weitere Informationen zu allen Themen rund um die Pflege zu erfahren!