Sind Menschen in Ihrer Selbstständigkeit oder in ihren Fähigkeiten beeinträchtigt und benötigen deshalb Hilfe durch andere, gelten sie als pflegebedürftig. Sobald ein Antrag bei der Pflegekasse gestellt wird, beauftragt diese den Medizinischen Dienst (MD) oder unabhängige Gutachter mit der Begutachtung zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit. Der ermittelte Pflegegrad ist dann entscheidend dafür, welche Leistungen der Pflegeversicherung der Betroffene für die pflegerische Versorgung in Anspruch nehmen kann. Die meisten der Leistungsempfänger werden von ihren Angehörigen versorgt und erhalten Unterstützung für ambulante Pflege im häuslichen Umfeld.
Bei der Einstufung der pflegebedürftigen Personen in fünf Pflegegrade werden Art und Schwere der jeweiligen Beeinträchtigungen unabhängig davon erfasst, ob diese körperliche, psychische oder geistige Ursachen haben. Die Pflegegrade orientieren sich an der Schwere der Einschränkungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten der hilfebedürftigen Person. Sie sind abgestuft in geringe Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder Fähigkeiten (Pflegegrad 1) bis zu schwersten Beeinträchtigungen, die besondere Anforderungen an die pflegerische Versorgung stellen (Pflegegrad 5). Der MD (früher: Dienst der Krankenversicherung MDK) ermittelt den jeweiligen Pflegegrad in einem pflegefachlich begründeten Begutachtungsverfahren.
Für einen Leistungsbezug aus der Pflegekasse muss die Pflegebedürftigkeit gemäß den gesetzlichen Vorgaben auf Dauer, das bedeutet voraussichtlich für mindestens sechs Monate, bestehen und mit mindestens der in § 15 SGB XI des Sozialbuchs festgelegten Schwere eingestuft sein. Zudem muss der Versicherte in den letzten zehn Jahren vor der Antragstellung mindestens zwei Jahre als Mitglied in die Pflegekasse eingezahlt haben oder familienversichert gewesen sein.
Was fragt der MD bei der Begutachtung?
Zur Ermittlung der vorhandenen Selbstständigkeit einer pflegebedürftigen Person erforscht der beauftragte Gutachter die folgenden modular eingeteilten sechs Lebensbereiche:
- Mobilität: Hier werden die motorischen Aspekte betrachtet. Ist die betroffene Person in der Lage, allein aufzustehen und vom Bett ins Badezimmer zu gehen? Wie selbstständig kann sie sich in der eigenen Wohnung bewegen? Kann sie noch Treppensteigen?
- Geistige und kommunikative Fähigkeiten: Hier werden das Verstehen, das Erkennen und die Entscheidungsfindung als Denkprozesse untersucht. Wie steht es um die räumliche und zeitliche Orientierung der Person? Kann die Person Gespräche mit anderen Menschen führen? Versteht sie die Gesprächsinhalte und Sachverhalte? Erkennt sie Risiken?
- Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: Für die pflegebedürftige Person und ihre Angehörigen belastende Aspekte wie nächtliche Unruhe, Ängste oder Aggressionen werden hier ermittelt. Auch ob Abwehrreaktionen bei pflegerischen Maßnahmen bestehen, wird gefragt.
- Selbstversorgung: Kann der Antragsteller sich selbst waschen und anziehen, eigenständig die Toilette benutzen und ausreichend essen und trinken?
- Selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen sowie deren Bewältigung: Der Gutachter ermittelt, ob die bedürftige Person Medikamente einnehmen oder den Blutzucker eigenständig messen kann. Kann sie mit Hilfsmitteln wie Prothesen oder Rollator umgehen? Kann sie ohne Hilfe einen Arzt aufsuchen?
- Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakt: Kann die pflegebedürftige Person ihren Tagesablauf eigenständig gestalten? Ist sie in der Lage, mit anderen Menschen in direkten Kontakt zu treten oder ohne Hilfe ein gesellschaftliches Treffen zu besuchen?
Der Gutachter vergibt für jedes ermittelte Kriterium in den untersuchten Lebensbereichen den Grad der Selbstständigkeit der bedürftigen Person anhand eines Punktwerts zwischen 0 und 3. Am Punktewert wird in jedem Bereich der Grad der Beeinträchtigung sichtbar. Am Ende fließen Die Punkte mit unterschiedlicher Gewichtung werden am Ende zu einem Gesamtwert addiert, der die Einordnung in einen der fünf Pflegegrade gestattet.
Der medizinische Dienst der Krankenversicherung bewertet auch die außerhäuslichen Aktivitäten der bedürftigen Person sowie die Haushaltsführung. Zudem wird ermittelt, ob eine Indikation für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation vorhanden ist. Diese kann angezeigt sein, um die Gesundheit zu verbessern und die Pflegebedürftigkeit hinauszuzögern oder zu vermeiden.
Was ist eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz?
Mit dem Begriff „eingeschränkte Alltagskompetenz“ wurden von der deutschen sozialen Pflegeversicherung bis zur Einführung der Pflegegrade die Fähigkeiten von bedürftigen Menschen zusammengefasst. Die Betroffenen hatten keinen so großen Bedarf an Grundpflege und Versorgung im Haushalt erreicht, dass sie in die damalige Pflegestufe I eingestuft werden konnten. Diesen Versicherten wurde aber wegen ihres erheblichen Bedarfs an Beaufsichtigung und Betreuung ein Anspruch auf besondere Betreuungs- und Pflegeleistungen zugesprochen. Mit Einführung des „Zweiten Pflegestärkungsgesetzes“ ist der Begriff der eingeschränkten Alltagskompetenz entfallen.
Die Gutachter des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) nutzten 13 Prüfkriterien, um die Alltagskompetenz zu ermitteln. Dazu gehörten zum Beispiel Aspekte wie unkontrolliertes Verlassen des Wohnbereiches, das Verkennen oder Verursachen gefährdender Situationen, Störungen der höheren Hirnfunktionen, die Unfähigkeit, die eigenen körperlichen und seelischen Gefühle oder Bedürfnisse wahrzunehmen oder ausgeprägtes labiles oder unkontrolliert emotionales Verhalten. Wurden mindestens zwei der Auffälligkeiten bei Betroffenen für voraussichtlich länger als ein halbes Jahr als erfüllt eingeschätzt, galt die Alltagskompetenz dieser Menschen als „dauerhaft erheblich eingeschränkt“.
Welcher Pflegegrad bei welchen Krankheiten?
Experten beobachten, dass Pflegebedürftigkeit durchaus im Zusammenhang mit Krankheiten stehen kann. Alterserkrankungen zum Beispiel betreffen häufig das Gehirn, die Knochen, die Lungen und das Herz-Kreislauf-System. Die Einstufung in einen Pflegegrad orientiert sich jedoch nicht direkt an Krankheiten, sondern an der Schwere der Beeinträchtigung, den Fähigkeiten und der Selbstständigkeit der zu pflegenden Person.
Menschen mit Pflegegrad 1 haben geringe Beeinträchtigungen bei der Selbstständigkeit oder bei ihren Fähigkeiten. Sie können sich meist gut selbst versorgen und haben nur einen geringen Unterstützungsbedarf, zum Beispiel bei der Hygiene oder im hauswirtschaftlichen Bereich.
Bei Bedürftigen mit Pflegegrad 5 bestehen schwerste Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten und besondere Anforderungen an die pflegerische Versorgung. Sie sind sehr auf die Hilfe anderer angewiesen.